Via Alta della Verzasca [ 27.09. – 05.10.2014 ]
Ein schroffer Gebirgszug trennt in den Tessiner Alpen das Verzascatal vom Tessiner Haupttal. Über seine Grate und Gipfel verläuft einer der spektakulärsten Höhenwanderwege der Schweiz, die Via Alta della Verzasca. Wegen seiner technischen Schwierigkeiten wird er in der einschlägigen Literatur als Referenztour für »T6« angegeben, der schwierigsten Kategorie der SAC-Wanderskala.
[ Landkarte mit den Tagesetappen ]
Wikipedia schreibt: »Die Via Alta della Verzasca (VAV) gilt als eine der wildesten Bergwanderungen der Schweiz.
Sie führt über verlassene Alpen, schroffe Gräben und schwer zugängliche Seitentäler und verbindet fünf Hütten miteinander.
Die VAV führt oft durch sehr ausgesetztes Gelände mit Kletterstellen, so dass sie nur für erfahrene Berggänger zu empfehlen ist.«
Das machte uns neugierig, und daher »mussten« wir uns die VAV mal genauer ansehen.
Im Herbst 2014 konnten wir das Projekt in Angriff nehmen.
Die fünf Hütten sind alles Selbstversorgerhütten, somit muss neben der üblichen Bergwanderausrüstung auch noch genügend »Futter« mitgeführt werden. Zunächst dachten wir an spezielle gewichtsoptimierte Expeditionsnahrung, rechneten uns dann aber aus, dass man mit wasserarmen »normalen« Lebensmitteln eine ebenso gute Kalorien-Gewichts-Relation erreichen kann. Deutlich preiswerter. Mit Spagetti, Reis, Tortellini, Hartkäse, Salami, Müsli, Brot u. Ä. kommt man auf etwa 350 kcal pro 100 g. Und da die Hütten mit komfortablen Kochgelegenheiten ausgestattet sind und ausreichend Wasser vorhanden ist, stellt auch die im Vergleich natürlich aufwendigere Zubereitung kein Problem dar. Wir kalkulierten mit etwa 2000 kcal pro Person und Tag und packten für uns beide insgesamt gut sechseinhalb Kilo ein.
27.09. Mornera – Capanna Borgna: Eine Kabinenbahn bringt uns nach Mornera, das auf einer Sonnenterrasse hoch über Bellinzona liegt. Bei wundervollem Wetter geht es auf bequemen Waldwegen weiter aufwärts, nahe der Waldgrenze erreichen wir die Capanna Albagno. Diese Hütte ist bewartet, das Risotto ist fast fertig – es schmeckt uns hervorragend. Weiter geht es, steiler und steiniger werdend, auf gut markiertem Wanderweg. Wir kommen über die Bocchetta d'Erbea, durch Fels und Schutt geht es weiter zur Bocchetta della Cima dell'Uomo. Von da ein wenig einfache Kletterei und wir stehen auf dem Gipfel der Cima dell'Uomo auf 2390 m. Weite Aussicht von oben, im Gegenlicht der Lago Maggiore tief unter uns, weiter südlich der Lago di Lugano. Noch ein bisschen Steine treten und wir haben die Capanna Borgna erreicht, unser heutiges Ziel. Hier ist vergleichsweise viel los, die Betreuerin der Hütte ist mit Mann, Töchtern und Enkelkindern über's Wochenende vom Tal hoch gekommen. Wir haben Zeit, kochen uns später eine herzhafte Gemüsesuppe mit dem mitgebrachten frischen Gemüse.
28.09. Capanna Borgna – Capanna Cornavosa: Zunächst noch »rot-weiß« hoch zur Bocchetta Cazzane, dann zweigt die Via Alta della Verzasca mit blau-weißer Markierung vom Wanderweg ab. Wir queren zur Bocchetta di Leis, teilweise sind abschüssige Platten zu traversieren, glücklicherweise ist es trocken. Denn bei Nässe wäre dieser Abschnitt sehr heikel bzw. gar nicht machbar, da es neben den Platten ziemlich runter geht und man keinerlei Sicherungsmöglichkeiten hat. Von der Bocchetta geht es – nun sicherer – auf dem Grat zum Gipfel des Poncione di Piotta (2440 m). Weite Aussicht wieder, insbesondere auf den Weiterweg am Grat – eine der Schlüsseletappen der VAV. Nach kurzer Rast machen wir uns an den Abstieg auf dem ausgesetzten Grat. Immer wieder Kletterstellen, jedoch nie schwerer als II und an sehr ausgesetzten Passagen durch Eisenbügel oder kurze Fixseile entschärft. An besonders kritischen Stellen gibt Silke der Behelfsgurt aus einer Bandschlinge, mit dem sie sich zwischendurch an den Bügeln sichern kann, den nötigen Rückhalt. Die weiteren Gipfel auf der heutigen Wegstrecke werden von der VAV in mäßigem Auf-und-Ab umgangen – die Cima del Scengio delle Pecore östlich, die Cima del Picoll westlich, der Poncione die Laghetti südwestlich, schließlich geht es noch die Südflanke des Poncione del Vènn entlang. Von der Bocchetta del Vènn geht es dann runter zur Capanna Cornavosa. Wieder eine exzellent ausgebaute und eingerichtete Hütte, dank Solartechnik gibt es ausreichend warmes Wasser, und wir gönnen uns eine heiße Dusche. Heute sind wir nur zu sechst auf der Hütte, mit uns parallel sind noch zwei Zweiergruppen auf der VAV unterwegs, die wir auch an den folgenden Tagen jeweils abends treffen werden.
29.09. Capanna Cornavosa – Capanna Efra: Über dem Talschluss des Val Pincascia führt der Weg – annähernd auf gleicher Höhe bleibend – zur Alpe Fümègna. Ab da geht es dann wieder bergauf zur Cima Lunga auf 2488 m. Meist auf dem Grat weiter zur Bocchetta di Fümègna, unterhalb der Cima di Bri entlang zum Passo di Bri, kurz steil abwärts zur Bocchetta die Rierna und mit leichter Kraxelei hoch zur Cima di Rierna auf 2461 m. Auf dem Grat etwas abwärts, dann kurze Kletterei hoch zur Cima del Rosso. Nochmals nur wenig abwärts zum Passo di Corte Nuovo, von dort erreichen wir nach kurzem Aufstieg die Cima di Gagnone, von deren 2518 m Höhe man wieder eine exzellente Rundsicht hat – insbesondere auch auf das heutige Etappenziel, die Efra-Hütte und den gleichnamigen See. Der Abstieg zur Bocchetta della Scaiee ist in Teilen etwas ausgesetzt, Silke schafft es ohne Rucksack ganz gut, ich hole ihren Rucksack nach. An der Bocchetta treffen wir auf den Wanderweg, der uns den Rest der Strecke zur Capanna Efra bringt.
30.09. Capanna Efra – Capanna Cognora: Eine der härteren Etappen heute, lang und schwierig, wir brechen daher früh auf. Zunächst führt der Weg fast horizontal am Talschluss des Val d'Efra entlang, man kommt an einer verlassenen Alm mit verfallenden Berghütten vorbei, dann geht es steiler aufwärts bis etwa 2500. Noch ein wenig Kraxelei dort, schließlich geht es über ein weites flaches Plateau vollends zum Gipfel des Pizzo Cramosino mit 2718 m. Über den Westgrat steigen wir zu einer Lücke bei 2615 ab, ein wenig ausgesetzte Kletterei ist wieder mal nötig, um sie zu überwinden. Einfacher geht es dann hoch zum Madom Gröss, mit 2741 m der höchste Punkt der VAV. Der Abstieg führt durch ein steiles aber immer wieder gestuftes Couloir auf der Ostseite, teilweise auf rutschigem Schutt, dann wieder kurze unübersichtliche Kletterstellen. 150 Höhenmeter runter, dann ist es geschafft, die Markierungen führen uns über ein schmales Band aus dem steinschlaggefährdeten Bereich raus. Immer noch sehr ausgesetztes aber technisch doch einfacheres Gelände. Von der Bocchetta di Cramosino (2049 m) folgt ein vergleichsweise einfacher Aufstieg über Blockgelände zum Pizzo di Mezzodi auf 2708 m. Eindrucksvoller Tiefblick von da auf den etwa 2000 m tiefer liegenden Talboden des Haupttals mit Autobahn und Eisenbahn. Inzwischen hat uns der Regen eingeholt, der Abstieg über die feuchten Blöcke bis runter zur Capanna Cognora ist kein wirklicher Genuss.
01.10. Capanna Cognora – Capanna Barone – Pizzo Barone:
Die Hauptschwierigkeiten der VAV liegen nun hinter uns, heute folgt noch eine letzte relativ kurze Etappe.
Der Regen hat aufgehört und wir können uns bei Sonnenschein auf den Weg machen.
Auf rot-weißem Wanderweg geht es zunächst zum Passo di Piatto hoch, danach
– wieder blau-weiß – mit leichtem Auf-und-Ab an der südlichen Flanke der Bergkette entlang.
Der Weg ist zwar überall ausgesetzt, aber gut zu gehen, kein Vergleich zu den Vortagen.
So erreichen wir früh das Rifugio Barone auf 2172 m.
Treffen dort zwei Tessiner, die die Tour umgekehrt in Angriff nehmen,
da so die schwierigen Stellen im Aufstieg zu machen sind.
Sie haben auch Seil und Kletterausrüstung dabei. Ihr dritter Mann ist noch im Aufstieg,
hatte wohl Muskelprobleme, auch einen viel zu schweren Rucksack, so um die 25 kg.
Da noch ausreichend Zeit ist, nehmen wir uns nach kurzer Rast noch den Pizzo Barone (2864 m) vor,
ein Wanderweg führt am Lago Barone vorbei auf den Gipfel.
Die Aussicht oben ist leider nicht ganz wie erwartet, Wolken auf allen Seiten.
Der Mensch mit dem schweren Rucksack hat ein wenig Ballast abgeworfen, frisches Brot und
eine Flasche Rotwein zurück gelassen. Beides lassen wir uns schmecken.
Das Projekt VAV ist damit erfolgreich abgeschlossen; wir haben aber noch ein wenig Zeit,
und das Wetter scheint günstig zu bleiben. Grund für uns, noch ein wenig in der Gegend zu bleiben.
02.-04.10. Pizzo Campo Tencia:
Vorbei an der Capanna Soveltra wandern wir nach Fusio, einem kleinen Bergdorf,
in dem wir über Nacht bleiben.
Am nächsten Morgen steigen wir zunächst zur Capanna Leit auf, genießen dort Kaffee und Kuchen.
Dann geht es weiter zur Capanna Campo Tencia; auch diese Hütte ist bewartet,
das Pächterpaar ist für seine gute Küche bekannt. Wir befragen den Wirt zum Aufstiegsweg
auf den Pizzo Campo Tencia. Als er hört, was wir gemacht haben, lacht er nur und meint, dass
wir den doch locker stemmen würden.
Er hat Recht, am folgenden Tag stehen wir auf dem Gipfel des Campo Tencia. Es ist der
höchste Inner-Tessiner und mit 3072 m der einzige Dreitausender des Gebirgszugs.