Durch Holland und Belgien: Kanäle, Küste und Kultur [ 11.06. – 19.06.2022 ]
Auf dieser Tour radelten wir einmal quer durch die Niederlande nach Amsterdam und weiter zur Nordseeküste bei Zandvoort. Von da südwärts, meist auf dem Küstenradweg, über Den Haag und Delft bis zu den belgischen Badeorten Knokke-Heist, De Haan und Oostende. Schließlich durch Belgien über Brügge, Gent, Mechelen und Leuven wieder zurück nach Nordrhein-Westfalen. Während der gesamten Tour genossen wir die hervorragende Radinfrastruktur der beiden Nachbarländer, die das Fahrradfahren ungemein erleichtert und so für eine weitgehend problemfreie Radmobilität sorgt.
Mit etwas Verspätung – die ursprünglich geplante Bahnverbindung fiel leider aus – starten wir in Bad Bentheim. Wir haben wundervolles Wetter (wie übrigens während der gesamten acht Tage), leider aber auch eine sehr stabile Westwindlage, sodass wir uns bis zur Küste auf konstanten kräftigen Gegenwind einstellen müssen. Kurz hinter Gildehaus erreichen wir die holländische Grenze, fahren dann auf gut ausgebauten verkehrsarmen Sträßchen durch dünn besiedeltes, hauptsächlich landwirtschaftlich genutztes Flachland über Oldenzaal und Deventer nach Apeldoorn.
Westlich von Apeldoorn wird die Landschaft interessanter, hier liegt die Veluwe, das größte zusammenhängende Waldgebiet der Niederlande. Mit ihren ausgedehnten Kiefernmischwäldern, die von vielen Rad- und Wanderwegen durchzogen sind, ist sie ein beliebtes Ausflugsgebiet. Wir durchradeln die Region teils auf kleinen Nebenstraßen, teils auf gut ausgebauten Fernradwegen entlang der Nationalstraßen. Es geht zunächst sogar ein ganz klein wenig bergauf, mit etwa 100 m Höhe sind wir hier am höchsten Punkt unserer gesamten Tour angelangt. Schließlich erreichen wir wieder das typische Flachland, fahren – weitgehend auf Meereshöhe – am Südrand der ehemaligen Zuidersee entlang. Die unterwegs vorgesehene Fährverbindung über die Eem bei Eemdijk hat leider Sonntagsruhe und zwingt uns so zu einem kleinen Schlenker ins Landesinnere, wo wir in Eembrugge dann über den Bach kommen. Auf dem Weiterweg nach Amsterdam unterbrechen wir das Radeln zu kurzen Besichtigungspausen an ehemals wichtigen Festungsstädtchen und Burgen wie Naarden und Muiderslot, die heute allerdings nur noch touristische Bedeutung haben.
In Amsterdam tauchen wir in den Richtung Stadtzentrum immer dichter werdenden Radverkehr ein und versuchen, einigermaßen mitzuschwimmen. Insbesondere auf den Radwegen entlang der Singelgracht, die das gesamte Zentrum von Amsterdam begrenzt, ist die Fahrraddichte immens hoch. Die obligatorische Stadtrundfahrt machen wir dann allerdings per Boot durch die Grachten und können so die Sehenswürdigkeiten der Stadt bequem und stressfrei an uns vorbei ziehen lassen . . .
Noch einmal quer durch das Zentrum bis zum Hauptbahnhof, dann wenden wir uns wieder westwärts. Auf angenehmen Radwegen erreichen wir Haarlem, Osnabrücks Partnerstadt, schauen uns dort ein wenig um und fahren dann auf einem gut ausgebauten Dünenweg zur Küste. Schon von weitem kündigt sich Zandvoort an – der laute Motorenlärm der Rennstrecke ist nicht zu überhören. Wir radeln nun auf dem Küstenradweg weiter, der in den Dünen an der Nordseeküste entlang verläuft. Meist asphaltiert folgt er in leichtem Auf und Ab der Topographie der Dünenlandschaft. In der Hauptsaison ist er allerdings wohl nicht zu empfehlen, schon jetzt im Juni sind eine Menge 'Genuss'radlerinnen und -radler unterwegs – meist zu zweit oder dritt nebeneinander auf gemächlich dahinrollenden Pedelecs.
Über die Badeorte Nordwijk und Katwijk erreichen wir den Den Haager Vorort Scheveningen, das beliebteste und wohl auch größte Seebad der Niederlande. Eindrucksvoll die lange Strandpromenade mit der Seebrücke und der Fassade des riesigen Kurhauses. In Scheveningen verlassen wir die Küste zu einer Schleife durch Den Haag und Delft, beides natürlich ein Must, und fahren dann durchs Landesinnere weiter zur Maasfähre in Maassluis. Anschließend wieder auf dem Küstenradweg erreichen wir über diverse Dämme und Sperrwerke schließlich Middelburg, die Hauptstadt der niederländischen Provinz Zeeland.
Die Westerschelde, den Mündungstrichter der Schelde, überqueren wir von Vlissingen aus dann wieder per Fähre. Die ist seit einigen Jahren nur noch für Rad- und Fußgängerverkehr zuständig, da für den motorisierten Verkehr seit 2003 der mit 6.6 km längste Straßentunnel der Niederlande den Fluss in 60 m Tiefe unterquert. Kurz danach ist Belgien erreicht, nach dem Naturpark Het Zwin radeln wir durch eine Reihe bekannter Seebäder: Knokke-Heist, Blankenberge, De Haan, Oostende. An den Strandpromenaden meist riesige mehrstöckige Hotelbauten, nur De Haan gibt sich da etwas zurückhaltender.
In Oostende erinnert noch vieles an König Leopold II., der Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Belgien regierte. Als überzeugter Kolonialist beutete er den damaligen Kongo-Freistaat in Zentralafrika brutal aus und ist letztlich verantwortlich für viele Gräueltaten gegenüber der einheimischen Bevölkerung. In Oostende wurde er lange als Wohltäter der Stadt gefeiert, ein Reiterstandbild zu seinen Ehren steht an der Strandpromenade. Heute diskutiert man – wie auch in anderen belgischen Städten – allerdings darüber, wie man mit diesen Relikten sinnvoll umgeht.
In Oostende verlassen wir die Nordseeküste und halten uns über weite Strecken an die Kunststedenroute, eine belgische Radroute, die eine Reihe kulturell interessanter Städte miteinander verbindet: Brügge, Gent, Antwerpen, Mechelen, Leuven, Brüssel. Antwerpen und Brüssel lassen wir allerdings aus und kürzen die Strecke somit ein wenig ab. Ein Teil der Städte gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe, so die Altstadt von Brügge; Gent ist dafür vorgeschlagen, ebenso die Universität von Leuven. Darüber hinaus sind die für diese Region typischen Belfriede – schlanke gotische Glockentürme, meist am Rathaus – als Gesamtheit Teil des Weltkulturerbes. So gibt es unterwegs eine Menge zu sehen und zu besichtigen.
Doch auch zu hören – denn zum (immateriellen) Weltkulturerbe gehört auch die belgische Glockenspielkultur. In vielen Belfrieden oder auch anderen Türmen sind solche Glockenspiele eingebaut. Wohl um sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wird die ansonsten angenehme Ruhe eines belgischen Marktplatzes in regelmäßigen Zeitabständen vom etwas schrill klirrenden Bling-Blang eines solchen Glockenspiels unterbrochen. Da die einzelnen Glocken relativ lange nachklingen, auch nicht gedämpft werden können, ergeben sich häufig merkliche Dissonanzen zwischen aufeinander folgenden Tönen. Das Klirren ist also systembedingt und somit leider unvermeidbar. Erschwerend kommt meist hinzu, dass die kurzen Klangsequenzen nicht von ausgebildeten Künstlerinnen oder Künstlern gespielt werden, sondern von einem Automaten mit einer mechanischen Stiftwalze. Und der hört natürlich keine Dissonanzen. Dem Vernehmen nach gelingt es Kundigen dennoch, die jeweils in den Klängen verborgene Melodie zu erkennen.
Zwischen den Kunststeden radeln wir auf gut ausgebauten, wenig befahrenen Radwegen übers flache Land. Meist entlang von Flüssen – Schelde, Rupel, Dijle – oder Kanälen. Dass man sich überall noch praktisch auf Meereshöhe bewegt, erkennt man daran, dass der Wasserstand der Flüsse bis weit ins Binnenland noch von der Tide – Ebbe und Flut – bestimmt wird. Kurz vor Leuven passieren wir das Festivalgelände von Werchter. Dort laufen schon die Vorbereitungen für Rock Werchter, eines der größten belgischen Rock-Festivals. Unter anderem sind dort auf einer riesigen Wiese unzählige Fahrradstellplätze vorbereitet – offenbar reisen viele Besucher per Fahrrad an, Brüssel ist nur etwa 30 km entfernt. Fahrradland Belgien . . .
Leuven, berühmt durch seine Universität, die älteste von Belgien und auch die älteste von BeNeLux, und berühmt durch die gotischen Bauten in der Innenstadt, ist die letzte in der Reihe der Kunststeden, die wir besuchen. Es ist Freitagabend und angenehmes Wetter, so herrscht auf den Straßen und Plätzen der Innenstadt volksfestartiges Gewimmel, und auf den Terrassen der vielen Restaurants am Oude Markt drängen sich Studis, Touris und Eingeborene, um bei einem landestypischen Kaltgetränk den Tag ausklingen lassen.
Von Leuven aus fahren wir zügig ostwärts, zunächst an der belebten N2 entlang, dann auf kleineren Nebenstraßen. Ab Hasselt ein Stück am Albert-Kanal entlang, kurz nach Genk dann auf einer angenehm schattigen Bahntrasse bis Maaseik. Hier queren wir die Maas, die Grenze zwischen Belgien und den Niederlanden, radeln noch ein kurzes Stück durch Holland und beschließen die Radelei in Mönchengladbach. Von dort bringt uns die Bundesbahn vollends nach Hause.
Trotz dreimaligen Umsteigens und einer kurzfristigen Streckensperrung unterwegs verspätet sich die Ankunft nur um etwa eineinviertel Stunden – durchaus akzeptabel an einem Sonntagnachmittag in Zeiten des 9-Euro-Tickets . . .