Mähren und Schlesien: Von Wien über Breslau nach Dresden [ 18.06. – 27.06.2016 ]
Über viele Jahre waren sie das Transportmittel der Wahl zu den Ausgangspunkten unserer Radtouren, inzwischen sind sie leider eine aussterbende Spezies – die Nachtzüge der Bahn mit Schlaf- und Liegewagen. Die DB hat sie zum Fahrplanwechsel 2016 komplett eingestellt, ein kleiner Teil des Nachtzugnetzes wurde nach und nach von der ÖBB übernommen und wird hoffentlich noch einige Zeit weiter betrieben. Eine dieser Verbindungen, den Autoreisezug ab Düsseldorf, nutzten wir diesmal, um nach Wien zu kommen. Von dort ging es auf dem Rad über Brünn und Olmütz zunächst nach Breslau, dann westwärts, am Riesengebirge entlang, bis zur Elbe.
Zwar wird dieser Autoreisezug im Sommer hauptsächlich von holländischen und britischen Mopedfahrern mit ihren schweren Maschinen genutzt, die sich auf diese Weise die lange Anfahrt nach Niederösterreich erleichtern, freundlicherweise führt die ÖBB aber auch einen Waggon mit einigen Fahrradstellplätzen mit. So erreichen wir gut ausgeschlafen die österreichische Hauptstadt, wo der Zug kurz nach acht ankommt, und können gleich losradeln.
Vom Hauptbahnhof aus wollen wir quer durch die Innenstadt nach Norden, Dank des gut ausgebauten Wiener Fahrradwegenetzes schaffen auch wir als Ortsfremde das problemlos. Vorbei an Parlament, Rathaus, Burgtheater, von Hundertwasser gestalteter Müllverbrennungsanlage verlassen wir Wien wieder und fahren auf einsamen Radwegen, umgebauten Bahntrassen und verkehrsarmen kleinen Landstraßen durchs „Weinviertel“ Niederösterreichs zur tschechischen Grenze. Knapp hinter der Grenze liegt die zum UNESCO-Welterbe gehörende Kulturlandschaft Lednice-Valtice, ein riesiges im 17. und 18. Jahrhundert angelegtes Parkareal um die Schlösser Lednice (deutsch: Eisgrub) und Valtice (Feldsberg). Dass die Schlösser zu den meistbesuchten Baudenkmälern Tschechiens gehören, glaubt man gern angesichts der vielen Ausflügler, die wir hier antreffen. Auch wir nehmen uns Zeit für eine Führung im größeren der beiden Schlösser, Lednice.
Am nächsten Tag folgen wir der mährischen Weinstraße, die sich durch das Hauptweinanbaugebiet Tschechiens nach Norden schlängelt. Vorbei an vielen Weinbergen und den für die Gegend typischen Weinkellern kommen wir nach Brno (Brünn), der nach Prag zweitgrößten Stadt Tschechiens. Sie ist das historische Zentrum Mährens, das bis zum Ende des ersten Weltkriegs ein Teil der österreich-ungarischen Doppelmonarchie war; vieles in der Brünner Altstadt erinnert noch an die habsburgische Vergangenheit. Wir schauen uns unter anderem das unter dem Krautmarkt liegende Labyrinth an, ein weit verzweigtes unterirdisches Netz aus Gängen und Kellern, das seit dem Mittelalter von den darüber liegenden Läden zur kühlen und trockenen Lagerung von Lebensmitteln genutzt wurde.
Bei leichtem aber beständigem Regen radeln wir am folgenden Morgen auf kurvenreicher Landstraße an der Svitava entlang von Brünn aus nordwärts in den Mährischen Karst. Glücklicherweise haben wir für heute den Besuch einer Tropfsteinhöhle eingeplant, so sind wir für eine gute Stunde im Trockenen. Die für Touristen erschlossene Punkwahöhle ist eine der längsten im Karst – kilometerweit wandern wir an eindrucksvollen Tropfsteingebilden entlang in den Berg. Zurück gebracht werden wir mit Booten auf dem dort entspringenden unterirdischen Fluss, der Punkwa. Wieder auf dem Rad noch ein Stück bergauf, dann haben wir die Karsthochfläche erreicht und können die Abfahrt in die flache Hanna-Ebene genießen. Im Zentrum dieser ziemlich konturlosen Landwirtschaftsregion liegt Olomouc (Olmütz), unser heutiges Tagesziel. Wie Brünn ist auch Olmütz eine Stadt mit sehr weit zurück reichender wechselvoller Geschichte. Die vielen repräsentativen historischen Bauten in der Innenstadt zeigen, dass dort in der Vergangenheit ein recht wohlhabendes Bürgertum zu Hause war.
Von Olmütz bis Šternberk fahren wir auf einem mit EU-Mitteln relativ neu gebauten breiten Radweg – ohne allerdings Radfahrer dort anzutreffen… Ein paar Mütter mit Kinderwagen freuen sich jedoch über den asphaltierten Spazierweg… Nördlich von Šternberk wird es wieder hügelig, wir queren das Altvater-Gebirge, den östlichen Teil der Sudeten. Auf guten Forstwegen und einsamen Landstraßen geht es durch endlos scheinende Wälder. Die Gegend ist sehr dünn besiedelt, Forstwirtschaft, ein paar Wintersportorte und einige Kurorte bieten wohl nur wenige Arbeitsplätze. Zum Fahrradfahren ideal, nur wenige Autos begegnen uns unterwegs. In einem uralten Gasthaus in Rejviz, einem einsamen kleinen Bergdorf auf 800 m Höhe, bleiben wir über Nacht.
Vom Nordrand der Sudeten führt unsere Tour über die Grüne Grenze in die Schlesische Tiefebene, den Wechsel nach Polen bemerken wir nur an der Veränderung der Straßenschilder. Die Landschaft wird hier wieder zunehmend eintönig, da das Gebiet durch großflächige Landwirtschaftsbetriebe geprägt ist. Gute Radwege sind in Polen Mangelware, wir versuchen daher, auf Nebenstraßen und Wirtschaftswegen zu bleiben. Das hatte in Tschechien sehr gut funktioniert, zumal dort auch die Beschilderung für Radfahrer vorbildlich ist. Hier landen wir jedoch mehrmals in tiefem Sand, als wir einem mit der Option „Rennrad“ gerouteten Track folgen… So entschließen wir uns doch für die Hauptverbindungsstraße, kommen da auf dem Mehrzweckstreifen neben vorbeidonnernden LKWs recht zügig voran. Erst kurz vor Wrocław (Breslau) können wir auf kleinere Wege in Odernähe ausweichen, auf denen wir dann bis in die Innenstadt kommen.
Breslau ist neben San Sebastián gerade die Europäische Kulturhauptstadt, dadurch gut besucht. Auch wir bleiben für einen Tag, um uns die Stadt anzusehen. Den Rädern können wir hier eine Pause gönnen, da die meisten Sehenswürdigkeiten gut zu Fuß erreichbar sind.
Auf dem Weiterweg versuchen wir wieder, die für Radler ungeeigneten Hauptstraßen zu meiden und über kleine Landstraßen und Wirtschaftswege nach Wałbrzych (Waldenburg) zu mäandern. Abgesehen von ein paar kurzen sandigen Abschnitten gelingt uns das hier auch ganz gut. Dort im Waldenburger Bergland am Nordrand des Sudetengebirges wird die Landschaft dann wieder abwechslungsreicher und verkehrsärmer, allerdings auch anstrengender. Wir machen einen kurzen Abstecher nach Tschechien zur Aderspacher Felsenstadt, schauen uns dort zu Fuß die formenreichen Sandsteinfelsen an. Anschließend geht es – wieder recht hügelig – am Riesengebirge entlang nach Jelenia Góra (Hirschberg). Die Umgebung von Hirschberg, das Hirschberger Tal, war im 18. und 19. Jahrhundert beim preußischen Adel als Urlaubsregion „in“. Statt wie heute in Malle hatte man damals halt sein Ferienhäuschen in dem angenehmen Klima am Nordrand des Riesengebirges. So sind dort auf relativ engem Raum etwa 40 kleinere Schlösschen mit den zugehörigen Parks gebaut worden. Heute sind einige davon zu Luxushotels umgebaut, einige werden von Kommunalverwaltungen genutzt, einige verfallen einfach.
Die Weiterfahrt nach Zittau ist recht abwechslungsreich: Ein paar kleinere polnische Kurorte, dann wechseln wir kurz nach Tschechien und wieder zurück nach Polen, fahren am riesigen Braunkohletagebau von Bogatynia in der Oberlausitz vorbei, besuchen kurz das Dreiländereck Polen-Tschechien-Deutschland an der Neiße.
Durch das Zittauer Gebirge radeln wir noch ein letztes Mal nach Tschechien, um in der böhmischen Schweiz zum Prebischtor, der „größten natürlichen Sandstein-Felsbrücke Europas“ (Wikipedia), hoch zu wandern. Von dort ist es nur noch ein kurzes Stück bis zur Elbe, der Elberadweg bringt uns nach Bad Schandau, die Bahn von dort nach Hause.
Saldo: 9 Tage auf dem Rad, ca. 900 km mit etwa 8000 Höhenmetern, keine Panne. Kalorienverbrauch unbekannt, wurde aber vermutlich durch das deftige Essen und das gute Bier sowohl in Tschechien wie auch in Polen wieder ausgeglichen.